Historisches Fechten mit Rundschild und Schwert
Alles was Du hier findest ist sehr experimental.
Und es sind mehr Ansätze von Ideen, als etwas fertiges.
Wir haben immer „mal wieder“ an dem Thema gearbeitet.
Schwert und Schild
Schwert und Schild „Historisch“ hat sich bei uns als Begriff eingebürgert. Gemeint ist ein Kampf mit Schwert und Schild ohne eine Einschränkung der Trefferzohnen und ohne eine Einschränkung der Techniken. Stiche sind also ebenso erlaubt, wie Stöße mit der Schildkante.
Wir trainieren seit 2008 nach dem Codex Belli Regelwerk. Mittlerweile gibt es viele andere Regelwerke, die die Trefferzonen erweitern bis hin zum Vollkontakt, der dann nur noch mit einer Rüstung gekämpft werden kann.
Alles sehr interessant, aber es kommt einem Historischen Fechten mit Schwert und Schild nicht nahe. Alle diese Systeme verbieten den Stich und verwenden auch keine Schildstöße..
Schwere Rüstungen gab es im Frühmittelalter nicht. Ein Fechten, das sich dem Historischen im Schwert und Schild annähert – denn Belege für die Fechttechniken haben wir ja nicht – kann also nicht auf einen Rüstungsschutz setzen, der erst im Hochmittelalter erfunden wurden.
Diese ganzen „neuen Regelwerke“ sind also historischer Blödsinn.
Wir gehen bei unseren Experimenten im Moment davon aus, dass:
- die drei Wunder gelten: Stich, Schlag, Schnitt.
- Ein Treffer mit der Schildkante an einen wichtigen Punkt auf den Körper den Kampf beendet, weil der Gegner schwer verletzt ist.
- Ein Kampf nach dem ersten Treffer mit der Schneide oder mit dem Ort den Kampf beendet, weil der Gegner so schwer verletzt ist, dass er nicht mehr weiter machen kann.
- Wir kämpfen – mit einer sehr guten Waffenkontrolle und z.Z. nur miteinander – auf einen Treffer, wobei wir Schnitte als Treffer werten, soweit sie sauber über den Körper gezogen werden. Schildstöße ebenso. Der ganze Körper ist für Treffer erlaubt. Auch Knaufstöße am Kopf oder an einem anderen lebenswichtigen Punkt beenden den Kampf.
- Wir verwenden Fechtmasken und leichte Fechtjacken als Schutzausrüstung und den üblichen Schutz für die Gelenke, wie beim Codex Belli. Lacrosshandschuhe sind eine Selbstverständlichkeit.
Die nach wie vor beiden anderen Historischen Fechter, die sich meines Wissens nach mit dem Thema beschäftigen sind Collin Richards und Roland Warzecha. Vielleicht gibt es bei einer Gruppe „Dengeln in Bayern“ noch eine Gruppe, die einen ähnlichen Ansatz verfolgt.
Ausgangsbasis ist bei uns immer ein Freikampf. Was im Freikampf funktioniert kommt in dieses System herein. Was nicht, das nicht.
Natürlich kennen wir die üblichen Quellen (I.33, Lignitzer, Talhoffer mit dem Stechschild). Wir nutzen sie als Basis – ohne daran zu kleben.
Das hier dargestellte Fechtsystem ist das Ergebnis von jeder Menge Sparring und der Methode „Trial and Error“.
Wir habe also einfach angefangen auszuprobieren was geht und was nicht funktioniert.
Ein wenig Freeplay in Slow-Motion (Juli 2015, Lucas + Bertram)
Aber lasst mich zunächst einmal sagen, was dieses Fechtsystem nicht ist:
- Es ist nicht historisch. Es gibt derzeit keine historischen Quellen, in denen Kampftechniken mit Schwert und Schild dargestellt sind. Es ist also eine Neuentwicklung des 21igsten Jahrhunderts. Ja, wir verwenden zum Teil Begriffe, die es im historischen Fechten auch gibt, weil diese hier bereits etabliert sind. Aber wir verwenden diese Begrifflichkeiten in ähnlichen Zusammenhängen, aber nicht exakt so, wie sie von wahrscheinlich von den historischen Fechtmeistern verstanden wurden oder in der Deutschen Schule nach Lichtenauer von dem meisten historischen Fechtern der heutigen Zeit verstanden werden.
- Natürlich haben wir uns angeschaut, was andere historische Fechter zu dem Thema „Schwert und Schild“ zu sagen haben. Hier finden sich also insbesondere Techniken wieder, die von Hammaborg auf Youtube veröffentlicht wurde und die Collin Richards in seinen Seminaren lehrt. Wir haben diese Techniken wahrscheinlich etwas anders interpretiert oder verwendet, als das ursprünglich von Hammaborg oder Collin Richards gedacht gewesen sein mag. Natürlich habe wir auch bei anderen Historischen Fechtern geschaut – aber nichts gefunden, was uns bemerkenswert erschienen ist.
- Natürlich haben wir recherchiert, was in historischen Quellen zu finden ist. Dabei hat sich für uns heraus gestellt, dass vieles, was als Schwert und Buckler Techniken belegt ist auch mit Schwert und Schild einen Sinn macht. Vieles andere haben wir ausprobiert und es funktioniert mit dem großen Schild nicht wirklich. Wir haben dabei auf folgende Quellen zurück gegriffen: I.33 und die Interpretationen von Hammaborg (aus seinem Seminar bei Stefan Dieke im Jahr 2009), Collin Richards (aus seinem Seminar von 2009), Herbert Schmidt: Schwertkampf Band 2.
- Die Stücke von Lignitzer in der Übersetzung des Fechtbuches von Ringeck von Bertram Koch.
Dieses Fechtsystem hat weder etwas mit Huscarl zu tun, noch mit einem anderen Freikampfsystem nach Codex Belli, Schmetterling oder was es sonst an verschiedenen Varianten gibt. Diese Freikampfsystem basieren immer auf bestimmten Regelwerken und dieses Fechtsystem beachtet einfach kein Regelwerk. Hier ist der ganze Körper Trefferzonen
- Angedeutete Stiche zum Gesicht oder ähnliches Zeug sind lediglich die Illusion eines Treffer. Solches „so tun als ob“ verhindert nur das Lernen einer richtigen Mensur. Dieses Fechtsystem versucht eine Antwort auf die Frage zu geben: Wie kann man mit Schwert und Schild einen Gegner besiegen ohne selber getroffen zu werden. Es ist als im Grunde nichts anderes, als der Versuch einer Reproduktion eines historischen Duell und Selbstverteidigungssystem. Das ist nichts für Fechtanfänger. Alle Menschen, die an diesem System mitgearbeitet haben, haben mehr als gute Grundkenntnisse im Historischen Fechten in der Tradition Lichtenauer und fechten frei.
- Wir kämpfen alle sehr regelmäßig untereinander und mit anderen Menschen nach dem Regelwerk des Codex Belli. Wir haben also gelernt in einem Freikampf sehr kontrolliert mit unseren Waffen umzugehen. Waffenkontrolle ist die wichtigste Voraussetzung um schwerste Verletzungen bei dem Partner zu verhindern.
Wir tragen eine angemessene Schutzausrüstung (Handschuhe, Fechtjacke/Splitterschutzweste, Tiefschutz, Ellenbogenschutz, Knieschutz, Schuhe mit Stahlkappen)
- Fazit 1: Dieses Fechtsystem folgt dem Prinzip „Töte bevor er Dich tötet“ und sollte nur von Menschen mit entsprechender Schutzausrüstung, einiger Erfahrung im freien Fechten und unter Anleitung eines erfahrenen Lehrer betrieben werden. Sonst sind Verletzungen sicher.
- Fazit 2: Wer versucht, mit diesem Fechtsystem auf Mittelaltermärkten andere Menschen zu beeindrucken, die nicht über die entsprechende Schutzausrüstung verfügen, wird nur den Eindruck hinterlassen sinnlos andere Menschen zu verletzen und entsprechende Probleme mit der Polizei bekommen. Also überlegt Euch gut, was Ihr tut, bevor Ihr es tut.
Dieses Fechtsystem ist ein Experiment, das noch nicht vollständig abgeschlossen ist und wohl zu unseren Lebzeiten auch nicht abgeschlossen werden wird. Es erhebt weder einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit noch darauf „das beste Fechtsystem aller Zeiten“ zu sein. Den einzigen Anspruch, den wir hier erben ist der, dass die hier dargestellten Techniken funktionieren und in vielen Freikampfsituationen zu sinnvollen Treffern geführt habe – also zu treffen, die einem Menschen kampfunfähig gemacht hätten, wenn er keine Schutzausrüstung getragen hätte und wenn der Partner die Schläge, bzw. Stichen nicht abgestoppt hätte. Wir zeigen hier, was funktioniert. Viele Andere haben wir ausprobiert, aber es funktioniert nicht, aber was nicht funktioniert und warum das nicht funktioniert, zeigen wir hier nicht und begründen also auch nicht, warum es nicht funktioniert.
Diese Fechtsystem wurde nach ein paar Regeln entwickelt, die wir als Zielrahmen gesteckt haben:
Die Techniken müssen unter Stress funktionieren – also dürfen sie nicht zu komplex sein.
- Die Techniken müssen Fehlerresitent sein, d.h. die Technik muss auch funktionieren, wenn der Angreifer in einem etwas anderen Winkel angreift oder mit einem etwas anderen Schlag und die Techniken müssen immer die Möglichkeit geben auch auf einen vollkommen anderen Angriff reagieren zu können, wenn der Angreifer nicht das macht, was gerade erwartet wird.
- Die Techniken müssen auseinander hervor gehen. Es darf also nicht vorkommen, dass ich mit einer Technik in eine Situation gelange, aus der ich nicht mehr weiter fechten kann oder unweigerlich getroffen werde, wenn sie nicht gelingt.
Die Grundbasis ist, wie von Stefan Dieke so schön formuliert: „Treffen ohne getroffen zu werde